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Hüte Konzept versus Endlagerung radioaktiver Abfälle: Argumente, Diskurse und Ausblick

AuthorM. Buser, HSK
6-01-5-51-56.pdf
DateJanuary 1998
Classification 6.01.5.51/56 (WASTE - STORAGE ON LAND (f.i. SALT / CLAY) (INCL. SYNROC))
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Einleitende Zusammenfassung
"Die Laufbahn, die dem Kommunismus noch vorbehalten ist, hängt
von dem Tempo ab, mit dem er seine Utopie-Vorräte verausgaben
wird". Heute erscheint diese, zum damaligen Zeitpunkt kühne
Aussage des grossen rumänischen Denkers Emile Cioran fast banal.
Kaum jemand hätte jedoch diesen 1960 in seinem Essay "Mechanismus der Utopie" erschienenen Zeilen vor dem Zusammenbruch
des Ostblocks grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Und dies obschon
Cioran das Wesen von Utopien und die Funktionsweisen von Heilslehren in ausserordentlicher Schärfe und Klarheit herausgeschält
hatte. Kaum ein Denker hat den Ursprung der menschlichen Sehnsuchtsträume und deren Mechanismen so prägnant beschrieben,
wie dieser nonkonformistische Einzelgänger.
Die Konfektionierung von Utopien ist in der Tat eine der frühesten
Errungenschaften einer in rauher Umgebung ums Überleben bemühten Menschheit. Die Verheissung goldener Zeiten zieht wie ein
roter Faden durch die lange und auch dunkle Geschichte der Zivilisationen, bis hin in die Moderne. Selbst die "rationale" Technik,
die kühler und nüchterner Betrachtung der Welt entspringt, hat
sich der Faszination einer träumerischen Zukunftsgestaltung nicht
entziehen können. Wie das Beispiel der Atomspaltung zeigt, verhalf
diese im Anschluss an den zweiten Weltkrieg im Fieber grenzenlosen Fortschrittsglaubens aufwartende Technologie alten Sehnsüchten wieder zu neuer Blüte.1 Auch die "Träume der Genetik" offenbaren den gleichen Hang der modernen und auch technisierten Welt
zu Visionen von wahrem sozialen Fortschritt.2
Parallel zur Konstruktion dieses Reiches des Glticks erfolgte die
Konfektionierung einer Schattenwelt, die in der besten Tradition
der alten eschatologischen Weltanschauungen steht. Auch diese
Entwürfe sind auf ein einziges Ziel gerichtet: auf ein Ende mit
Schrecken. Auch in dieser Teleologie des Untergangs gab und gibt es
kein Abweichen von einer einmal festgelegten Erwartung. An diese
Denktradition kntipfen in der Neuzeit jene Teile der Umweltbewegung an, die auf dem Weg zu transzendentaler Erfahrungen die
Fesseln moderner Technik abzuschütteln gewillt sind und sie allein
für das Leid und die Bedrohung auf Erden verantwortlich machen.
Dieser Weg zurück zur Natur war und ist auch ein Weg zurück in
die "Nostalgie" einer paradiesischen Zukunft.l
ln gedämpfter Form ist diese historisch uralte Auseinandersetzung
um Licht und Dunkel, um Wahrheit und Trug, um Hoffnung und
Verzweiflung, aber auch um Fortschritt und Rtickschritt,
Bestandteil der Auseinandersetzung um die Nukleartechnologie.
Seit mindestens zwei Jahrzehnten tobt auch in der Schweiz dieses
Ringen, welches sich - bei Bedarf und mit aller Raffinesse - der
ideologischen Klaviatur bedient. Diese Auseinandersetzung hat sich
in den letzten Jahren zunehmend auf den Bereich der nuklearen
Entsorgung verlagert. Es mutet jedoch seltsam an - und ist eine
lronie der Geschichte -, dass gerade zum Zeitpunkt, wo
Nüchternheit und pragmatische Lösungsansätze die Suche nach
Endlagern für radioaktive Abfälle kennzeichnen, Vorstellungen zu
einer gesellschaftlich getragenen Entsorgung aufkommen, die sich
sehr mittelbar an utopischen Entwürfen von gesellschaftlicher
Stabilität orientieren.
Die vorliegende Studie widmet sich einer Vision einer vornehmlich
auf gesellschaftlicher Basis zu bewältigenden Entsorgung, einer
Vision, welche alle bisherigen Konzepte und Arbeiten zur Endlagerung grundsätzlich in Frage stellt. Diese als "Hüte"-Konzept bezeichnete Entsorgungs-Alternative hat in den letzten Jahren zunehmend Eingang in die Diskussion um eine auf Dauer sichere
Beseitigung des radioaktiven Abfallguts gefunden. lhr liegt die ldee
zugrunde, dass nur ein gesellschaftlich betreutes und kontrolliertes Lager in der Lage isl, das Ziel einer langzeitig sicheren Entsorgung zu gewährleisten. Denn die Geologie als solche könne - so
meinen die Verfechter der "Hüte"-ldee - nie den geforderten
Langzeitsicherheitsnachweis erbringen.
ln dieser kleinen Studie werden nun beide Grundkonzeptionen noch
einmal grundsätzlich reflektiert. Schon einfache Überlegungen zur
Systemtheorie und zur Prognostizierbarkeit von komplexen
Systemen zeigen aber, dass das Konzept des ewigen "Hütens"
schlichtwegs unhaltbar ist. Gesellschaftliche Faktoren und historische Erfahrungen sprechen dabei ganz besonders gegen die Umsetzung dieser mit Vehemenz vertretenen Strategie der Dauerlager. Ungeachtet der Schwächen der konventionell verfolgten Endlagerstrategien, bieten die ldeen zum "Hüten" keine ernsthafte
Alternative zum bisher eingeschlagenen Entsorgungsweg: Ganz im
Gegenteil, werden doch Vorstellungen von Sicherheiten aufgebaut,
die nicht im weitesten eingelöst werden können.
lm Sommer 1991 veröffentlichte die Zeitschrift "Energie + Umwelt" der Schweizerischen Energie-Stiftung meinen kleinen Artikel zum Thema "Hüte"-Konzept. lch hoffte damals noch auf ein
rasches "Absterben" dieser Entsorgungsidee, musste jedoch bald
einsehen, dass ich die Faszinalion, die von diesem Konzept ausging,
unterschätzt hatte. Denn es fand nicht allein - und aus unterschiedlichen Motiven - in Teilen der Umweltschutzbewegung Unterstützung. Auch Naturwissenschaftler und Techniker, die sich
mit den Schwachstellen ihrer eigenen Disziplin schwertun und
technische und wissenschaftliche Probleme um die Endlagerkonzeption erkannten, erwiesen sich - leider - als zu empfänglich für
diese - auf einen ersten Blick - scheinbar attraktive Konzeption.
Der Glaube an die Vernunft von Mensch und Wissenschaft, ein altes
Attribut der Aufklärung, kapituliert nur schwer vor historischen
Evidenzen. Dies mag mit ein Grund für die Persistenz der "Hüte"ldee sein, auch bei verunsicherten Vertretern von Wissenschaft
und lndustrie.
Dennoch gehen die Utopie-Vorräte des "Hüte"-Konzeptes langsam
zur Neige. Es gibt neuerdings - auch bei überzeugten Verfechtern
der Dauerlagerung - Anzeichen zu selbstkritischer Reflexion, zu
einem Überdenken, das schliesslich an den Grundpfeilern der Konzeption selber rütteln dürfte.1 Denn nicht mehr dezenlrale
oberirdische Mausoleen werden nun gefordert, sondern nur noch
die Option auf Rückholbarkeit der Abfälle, Kontrollierbarkeit der
Anlagen und Korrigierbarkeit der Entscheide - just Anliegen also,
die auch Bestandteile der heutigen Endlagerstrategie sind. So bleibt
also zu hoffen, dass die "Hüte"-ldee sich langsam und sicher im
Pfad einer nüchternen und pragmatischen Bearbeitung der bisher
verfolgten Entsorgung auflöst. Denn es ist mehr als Zeit, nun
endlich vorwärts zu schreilen, und nicht nur Lösungen auf dem
Papier bereitzustellen, sondern jene Forschungen zu unterst͡tzen,
die es dereinst erlauben sollen, gezielt Endlager zu errichten.

Im Dezember 1997

Marcos Buser